Zur Klimakrise und dem Versagen, Wirtschaft anders zu begreifen.

Ein Kommentar von David J. Petersen.

Einerseits ist zu begrüßen, dass in der Öffentlichkeit wieder verstärkt über ambitionierten Klimaschutz diskutiert wird. Andererseits ist zu beachten, dass unterschiedliche Akteure mitnichten dasselbe meinen. Die verschiedenen Konsequenzen, die gezogen werden, zeugen dabei nicht nur von einem unterschiedlichen Verständnis. Sie zeugen auch von einer allgemeinen Konzeptlosigkeit, indem Praktiken und die Dimensionen der Klimakrise noch viel zu wenig zusammengedacht werden. Statt dessen sind aktuelle Zukunftsdebatten nicht selten von einer sonderbaren Kleingeistigkeit geprägt. Ist dies letztlich auch eine Quittung für jenes vorherrschende, eng geführte Verständnis von Wirtschaft?

Seit Wochen streiken vor allem Schüler*innen freitags auf den Straßen und haben mit einer ungeahnten Wucht den menschengemachten Klimawandel – die Globalkrise unseres Jahrhunderts – auf die öffentliche Tagesordnung gebracht. Dabei wurde zugleich schmerzhaft offengelegt, wie untätig unsere Gesellschaft bislang darauf reagiert hat. Untätig nicht in dem Sinne, dass überhaupt nichts getan und reagiert würde. Untätig in dem Sinne, dass jene Bemühungen vor dem Hintergrund der enormen Herausforderungen bislang erschreckend inkonsequent scheinen. Erschreckend, weil anstatt hinreichende Maßnahmen in Politik und Wirtschaft zu verhandeln sowie wirkungsvolle Politiken zu beschließen, häufig immer noch lieber so getan wird, als sei letztlich alles eine Frage der Ambition und der Technologien. Gerne wird dabei im selben Atemzug eine höchst sonderbare Vernunfthaftigkeit betont, die letztlich allerdings nur dazu dient, jede weitergehenden klimapolitischen Anstrengungen als irrational erscheinen zu lassen. Damit steckt in jenen Äußerungen deutlich mehr Hohn, als in all jenen Versuchen der Diffamierung und Verunglimpfung des berechtigten Anliegen der Fridays for Future. Es sind ähnliche Abwehrreaktionen und Ablenkungsmanöver, die uns aus den Auseinandersetzungen um eine interdisziplinäre und plural-ökonomische Lehre wohlbekannt sind.

Insbesondere Politiker*innen versuchen derzeit eine weitgehende Einigkeit zu suggerieren. Dies sollte uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie fundamental uneinig man in den Konsequenzen immer noch ist und vor allem wie untätig man in den letzten Jahren war (siehe z.B. das Abstimmungsverhalten der deutschen EU-Parlamentarierer, die parteipolitischen Positionierungen zu den Forderungen von Fridays for Future oder die Wahlprogramm-Auswertung durch Klimareporter). Letztlich, so mahnen häufig auch Ökonom*innen und Wirtschaftsvertreter*innen, soll Klimaschutz weiterhin auf keinen Fall die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährden. Die wohlbekannte Warnung vor dem Verlust von Arbeitsplätzen folgt dann auf dem Fuße. Aus dem Blick gerät dabei, was eigentlich mit Wettbewerbsfähigkeit genau gemeint wird. In jedem Fall soll ein bestimmter Status quo erhalten werden. Doch welcher konkret und warum? Letztlich haben wir es hier mit einem fundamentalen Widerspruch zu tun, der nicht nur all jenen Analysen entgegensteht, die notwendige und tiefgreifende Veränderungen einfordern. Eine solche Aussage beisst sich oftmals auch mit den eigenen Ansprüchen, beispielsweise die Übereinkommen im internationalen Klimavertrag ernstzunehmen. So werden schlussendlich wirtschaftspolitische Instrumente wie der Emissionshandel bis zur Wirkungslosigkeit verwässert oder andere Maßnahmen wie die einer CO2- oder Kerosinsteuer erst gar nicht ernsthaft erwogen. Statt dessen wird politisch weiter an „dreckigen“ Technologien und Subventionen festgehalten und sich lieber schützend vor „Problemverursacher“ gestellt, beispielsweise vor die Autoindustrie – selbst wenn in krimineller Manier dort teils massiver Betrug bei Schadstoffwerten stattgefunden hat. Dabei könnte alles anders sein. Doch allgemein wird sich davor gescheut grundlegende Konsum- und Produktionsmuster oder gar das Wirtschaftssystem an sich in Frage zu stellen. Bezeichnend hierfür sind die immer gleich verlaufend scheinenden Diskussionen um Kapitalismus und Marktwirtschaft sowie im Speziellen z.B. die Debatte um E-Mobilität, die meist nur als ein Substitut von Autos mit Verbrennungsmotor verhandelt wird oder auch bei Auseinandersetzungen um Ernährung und industrielle Landwirtschaft. Es wird oftmals nur an der Oberfläche der Probleme gekratzt, zudem mangelt es an einer Offenheit gegenüber sozialen Innovationen.

In der kurzen Abhandlung hier, mag dies eine teils zugespitzte Problematisierung darstellen. Und dennoch dominieren in der momentanen Debatte letztlich vorwiegend eindimensionale Lösungsansätze, bei denen bloß auf „grüne“ Technologien, Effizienz und vor allem auf den Markt gesetzt wird. Das Verhandeln einer allgemeinen Zukunftsfähigkeit bleibt hingegen aus.

Soll das ernsthaft eine adäquate Antwort auf die Klimakrise sein? Ist dies wirklich die einzig mögliche Zukunftsvision, die den grundlegenden Wandel rahmen soll?

Dies hat auch damit zu tun, wie wir über Wirtschaft denken. Zwar hat spätestens mit der Finanzkrise 2007/2008 der Ruf nach einer pluralen Ökonomik zunehmend öffentlich an Sichtbarkeit und Relevanz gewonnen. Gleichwohl ist die problematische Engführung der Wirtschaftswissenschaften weiterhin aktueller denn je. Die Entwicklungen in Deutschland sind – trotz einiger Lichtblicke – insgesamt eher ernüchternd. Konkrete Ansätze einer pluralen ökonomischen Lehre sind bislang rar und wenn dann randständig oder gar außerhalb von wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten angesiedelt. Dabei läge genau hierin die Chance, Wirtschaft umfassender und ganzheitlicher zu verstehen. Das hat und hätte weitreichende Folgen, denn nicht zuletzt hat jene Lehre auch einen Einfluss auf das Denken der Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik.

Hoffnung macht zurzeit jedoch, dass immer mehr Menschen ziemlich deutlich machen, dass es so nicht weitergehen kann: Wissenschaftler*innen, Eltern, Politiker*innen, Unternehmer*innen, Würdenträger*innen und andere zeigen sich solidarisch mit dem Anliegen der Fridays for Future. Sie erheben ihre Stimme und äußern zudem die Bereitschaft, sich in ihrem Rahmen aktiv für einen sozial-ökologischen Wandel einsetzen zu wollen. Genau eine solch breite und aktive Allianz braucht es! Die Antworten auf die Frage, wohin es gehen soll, wird dabei den nächsten Gradmesser darstellen.

Wir müssen endlich kapieren: Die Folgen unseres Nichtstun bzw. Nicht-Ausreichend-Tuns, sind sehr wahrscheinlich um Längen dramatischer, wie das, was uns bei einem aktiven Handeln – wenn wir uns also tatsächlich der Verantwortung zu stellen versuchen – erwarten wird. Die Katastrophe ist vorprogrammiert. Aussichtslos wäre jedes weitere Verharren in Ignoranz und Arroganz. Wenn wir uns hingegen endlich ehrlich und konsequent unserer Verantwortung stellen würden (persönlich / gesellschaftlich sowie regional, inter- und national), dann könnten jene Chancen eröffnet werden, sich aktiv um unsere Gestaltungsspielräume zu sorgen und zu versuchen diese nachhaltig abzusichern oder gar zu erweitern. Dazu müssten die Baustellen aber endlich politisch klar benannt sowie Annahmen und Widersprüche hinter den jeweiligen Bewertungen und Konsequenzen von den unterschiedlichen Akteure transparent gemacht werden. Es wäre die Voraussetzung für eine offene und umfassende Debatte. Dabei wird es entscheidend sein, inwiefern es gelingt insbesondere die Fragen um Existenz und Selbsterhalt und die unserer ökologischer Grundlagen in den Vordergrund zu stellen und damit zugleich auch mit der weit verbreiteten Gewohnheit zu brechen, die all jenes häufig letztlich vermeintlichen ökonomischen Notwendigkeiten und Sachzwängen unterzuordnen versucht. Wir würden wohl ziemlich sicher lernen, die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Es wäre eine wichtige Voraussetzung um gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln, die tatsächlich etwas grundlegend anders machen. Die tatsächlich innovativ sind. Dies ist erforderlich, denn schon jetzt stecken wir in einem massiven (für uns teils heute noch unvorstellbaren) Strukturwandel, der regional sehr unterschiedlich ausfallen wird und damit eine ungleich hohe Gefahr für soziale Verwerfungen birgt. Der bloße Glaube an Markt, Effizienz und Technologie wäre somit töricht.

Eine solche Schlussfolgerung kann man versuchen zu ignorieren oder kleinzureden oder gar abzulenken, indem man beispielsweise mit den Finger auf irgendwelche anderen vermeintlich Verantwortlichen zeigt. Doch alsbald würden wir wohl vor einen unvorstellbaren Trümmerhaufen stehen. Dies droht uns offensichtlich, sollte weiter auf ein Status quo gesetzt werden, bei dem sich mit geringfügigen und zaghaften Anpassungen in den nächsten 10 Jahren begnügt würde. Oder wenn gar weiterhin am Glauben festgehalten würde, dass mit den bislang gewohnten und vergangenen Antworten noch eine lebenswerte Zukunft zu entwickeln wäre. So oder so, der Preis wäre sozial und ökologisch vernichtend hoch. Es würde zudem bedeuten, all jene Empirie und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse bewusst ignorieren oder gar leugnen zu müssen. Zwar mögen jene Wachstumsökonomien für eine bestimmte Zeit in bestimmten Regionen verschiedentlich „gut“ funktioniert haben, doch ein Naturgesetz oder universelle Formel für Wohlstand war dieses Modell noch nie. Ein Wohlstandsmodell für die Menschheit schon gar nicht. Der Einsicht, dass unsere momentan vorherrschende Lebens- und Wirtschaftsweise nicht nachhaltig und somit auch nicht zukunftsfähig sein kann, müssen nun also endlich entsprechende, tiefgreifende Konsequenzen folgen. Es braucht somit eine Debatte, die auch vor radikal anmutenden Antworten nicht zurückschreckt.

Für Wege hin zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise braucht es eine eine grundlegende und umfassende Auseinandersetzung sowie ein neues Verständnis von Wirtschaft!

Wir werden nicht umhinkommen alte Denkmuster wie veraltete Theorien (auch in der Ökonomik!) sowie gewohnte Praktiken und damit auch (mehr oder weniger liebgewonnene) Gewohnheiten hinter uns zu lassen. Auch deswegen braucht es Offenheit, Neugier und deutlich mehr Kreativität und Vorstellungskraft. Schon heute gibt es dabei Ansätze, die entsprechende Elemente und Bausteine liefern könnten – siehe beispielsweise die bisher versammelte Vielfalt von ökonomischen Perspektiven auf der Online-Plattform Exploring Economics, die Pionierbeispiele auf FuturZwei, die aktuellen Impulse zur Zukunftskunst vom Wuppertal Institut oder von Kate Raworth zur Donut-Ökonomie sowie allgemein die Debatte um Postwachstum und einer Gemeinwohlökonomie, um soziale Infrastrukturen und ein bedingungsloses Grundeinkommen u.v.m. In bestimmter Hinsicht finden sich solche Elemente durchaus auch in eher mainstreamnahen Konzepten wie einer Green Economy. Doch vieles von dem ist noch zu marginalisiert und bedürfte einer verstärkten kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung und Weiterentwicklung, ggf. auch einer Verknüpfung mit anderen Ansätzen. All dies verweist auf ein enormes Potential für notwendige Innovationen, die bereits schon jetzt im Denken über Wirtschaft wie auch teils in Form von Praktiken, Institutionen und Techniken existieren. Auch die Ökonomik könnte an der ein oder anderen Stelle daran verstärkt anknüpfen. Sie müsste dazu allerdings ihr Sichtfeld gegenüber anderen Perspektiven und anderen wissenschaftlichen Disziplinen deutlich öffnen und ihre Neugier zur Vielfalt entdecken.

Ebenso gälte es sich dabei stets auch zu vergewissern, welche gesellschaftlichen Errungenschaften allgemein abgesichert und weiterentwickelt gehören. Spätestens dann würde auch jene Kleingeistigkeit der momentanen Zukunftsdebatte deutlich. Plötzlich würden Konzepte, in denen beispielsweise Demokratie und Teilhabe wie auch Rechtsstaatlichkeit mitverhandelt werden, mit jenen eng geführten Perspektiven kontrastiert, die meinen das Gefecht liege beispielsweise vor allem im Kampf um Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze, Dieselfahrzeuge, Erneuerbare Energien oder einem Recht auf Fliegen… Um nicht falsch verstanden zu werden: Auch die kleinteiligen Fragen bedürfen Antworten und einer Debatte. Es verwundert allerdings oftmals schon, wie wenig diese in eine ganzheitliche Perspektive eingebettet werden und wie sehr grundsätzliche Betrachtungen dann fehlen. Nur zur Erinnerung: Hier wird momentan kein Unternehmen an die Wand gefahren, sondern wesentliche Voraussetzungen unserer aller Lebensgrundlage!

Und falls dies immer noch nicht verständlich scheinen sollte: Möglicherweise brauchen wir dann tatsächlich all jenen Panikmodus, den Greta Thunberg schon so oft bemühte, um jener illusionären Wirklichkeit entfliehen zu können, die teils unser Handeln so zu lähmen und unsere Vorstellungskraft so sehr einzuschränken scheint. Gemeint hatte sie damit keine Hals-über-Kopf-Panik (welche uns vermutlich spätestens dann treffen würde, wenn wir nicht doch noch irgendwie die Kurve kriegen). Gemeint ist ein Panikmodus, der uns endlich aus unserer Komfortzone heraus manövriert. Eine Anforderung, die wohl stets eine Herausforderung bleiben wird. In der pluralen Ökonomik begegnet uns diese in ähnlicher Weise, wenn es beispielsweise darum geht, unterschiedlichen Perspektiven mit einer offen-neugierigen Haltung zu begegnen sowie sich zugleich seiner Begrenztheit in Bezug auf Wissen und der eigenen Fehlbarkeit bewusst zu sein. Das Eingeständnis seiner eigenen eingeschränkten Sichtweise ist somit der erste Schritt zu einem hoffnungsvollen Umgang mit jener Pluralität, Komplexität und Dynamik von Welt, die uns stets konfrontieren wird. Wir sollten uns davon nicht einschüchtern lassen, denn es eröffnet uns auch spannende Lern- und Experimentierfelder sowie neue Möglichkeiten auf dem Weg nach ganzheitlichen und umfassenden Lösungsansätzen, auf der Suche nach sozialen und technologischen Innovationen. Zugleich stellt es vermutlich die beste Versicherung dar, sich nicht in eine illusionäre Wahrheit zu flüchten, die sich nur aus einfachen und eindimensionalen sowie national-autoritären Antworten speist.

Economists for Future: Gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft!

2014 wurde mit einem internationalen Aufruf für eine plurale Ökonomik zu einem grundlegenden Kurswechsel in der Ökonomik aufgerufen, ohne sich anmaßen zu wollen, die endgültige Richtung zu kennen. Jener Aufruf gilt nun mit Blick auf die Klimakrise sowie unsere derzeitigen Wirtschaftspolitiken zu re-aktualisieren. Deswegen ist es ein wichtiges Zeichen, dass sich jetzt auch das Netzwerk Plurale Ökonomik mit dem Anliegen der Fridays for Future solidarisiert und im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten versucht, entsprechende Impulse für ein neues Verständnis von Wirtschaft zu setzen. Ein Anfang könnte dabei sein, dass auch Ökonom*innen die aktuelle Klimaschutz-Debatte verstärkt zum Anlass nehmen um momentane Engführungen in der Ökonomik zu problematisieren, (eigene) Leerstellen und Widersprüche offenzulegen und sich selbst aktiv in die Auseinandersetzung mit alternativen Ansätzen (z.B. ökologische, feministische oder postkeynesianische Ökonomik) zu begeben sowie mögliche Maßnahmen und politischen Instrumente öffentlich zu diskutieren. Zugleich könnten auch gesellschaftliche und wirtschaftsethische Dimensionen gespiegelt werden.

Warum nicht die Klimakrise als Anlass nehmen, seine eigene ökonomische Perspektive prüfend zur Diskussion zu stellen? Eine solche Debatte hätte womöglich auch das Potential, der momentanen Konzeptlosigkeit etwas reichhaltiges entgegenzustellen, Orientierungen zu schaffen und damit auch potentielle Wege zu nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweisen sichtbarer werden zu lassen.

[Veröffentlicht am 24.05.2019]

David J. Petersen studiert derzeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Master Gesellschaftstheorie und engagiert sich im Netzwerk Plurale Ökonomik (u.a. im AK Ökonomik und Verantwortung) und der Lokalgruppe in Jena. Er ist Mitherausgeber vom Sammelband „Perspektiven einer pluralen Ökonomik“, welches in Kürze im Springer VS erscheinen wird.

Zum Hintergrund: Economists for Future

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