Zunehmend gibt es Anzeichen einer Depluralisierung des wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichs der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. In unserem Offenen Brief an Präsidenten und Dekan, sowie den Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung Berlin fordern wir den Erhalt der plurale Lehre und Entscheidungsstrukturen, die Vielfalt zulassen.

Sehr geehrter Präsident der HWR Andreas Zaby, Dekan Otto von Campenhausen, Staatssekretär Steffen Krach, sehr geehrte Öffentlichkeit,

noch ist die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin einzigartig. Insbesondere der wirtschaftswissenschaftliche Fachbereich sticht durch das interdisziplinäre Curriculum, die pluralen Lehrinhalte, ein breites Spektrum an VWL-Theorieschulen und seinen starken Praxisbezug bei vielfältigen Forschungsmöglichkeiten heraus. Seit Jahrzehnten ist die HWR für zahlreiche Studierende und Forschende ein Ort der freien Wissenschaft, von dem wichtige gesellschaftliche Impulse ausgingen.


Doch aktuell wird diese Einzigartigkeit in Lehre und Forschung in Frage gestellt. Es gibt zunehmende Anzeichen einer Depluralisierung des wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichs an der HWR, wie sie seit den 70er an vielen deutschen Universitäten stattgefunden hat. Das Gleichgewicht zwischen verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen Strömungen, welches den progressiven Charakter der HWR begründet hat, droht verloren zu gehen.


Besonders dramatisch ist die Gefährdung mehrerer Professuren und Studiengänge, die die akademische Vielfalt innerhalb der HWR über Jahre sichergestellt haben. In den Bereichen Sozialpolitik und Verteilung, Gender, sowie Nachhaltige Ökonomie wird eine angemessene Neubesetzung der Professuren verhindert. Dies hat Folgen für die ökonomische Lehre. Insgesamt stehen drei international und plural ausgerichtete Studiengänge auf dem Spiel. Auch das interdisziplinäre Harriet Taylor Mill Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung würde geschwächt werden.


In den letzten Jahren wurde mehrfach mit fragwürdigen Methoden in den richtungsweisenden Gremien eine inhaltliche Neuausrichtung des Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der HWR erzwungen. Die Entscheidungskultur hat sich von einem eher konsens- und kompromissorientierten Verfahren zum Mehrheitsbeschluss gewandelt, wodurch große Minderheiten zunehmend übergangen werden. Diese Einseitigkeit führte auch bei zahlreichen Personalentscheidungen und der Auswahl von Lehrinhalten zu einer unglücklichen thematischen Verengung.

All dies ist sehr bedauernswert. Angesichts der immer komplexer werdenden Zusammenhänge ist es unerlässlich, diesen mit einer großen Bandbreite an Methoden, Ideen und Theorien zu begegnen. Auch in großen Teilen von Wirtschaft und Politik ist dies inzwischen angekommen. Um die notwendige Anpassung unseres Wirtschaftssystems an globale Herausforderungen wie den Klimawandel zu begleiten, brauchen gerade Studierende der Wirtschaftswissenschaften Kompetenzen in Fragen der Nachhaltigkeit, sozialer Ungleichheit und internationalen Beziehungen. Das gleiche gilt für die Fähigkeit unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, interdisziplinär zu arbeiten und voneinander abweichende Ergebnisse angemessen zu interpretieren.

In diesem Geist fordern wir, dass an der HWR gesamtgesellschaftliche Problematiken auch schon im Bachelorstudium mehr Aufmerksamkeit bekommen und mit den passenden Theorieschulen aus dem gesamten Spektrum der Ökonomik bearbeitet werden. Insbesondere interdisziplinäre Lehrveranstaltungen wie International Economics oder Politische Ökonomie spielen dabei eine besondere Rolle und sollten nicht durch Verschiebung in den Wahlpflichtbereich marginalisiert werden. Quantitative Methoden, qualitative und institutionalistische Analysen, Reflexions- und Argumentationsfähigkeit gehören allesamt zu einer guten wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.


Zudem ist es essentiell, dass in kontroversen Feldern Professor*innen unterrichten, die unterschiedliche methodische Ansätze beherrschen. Nur auf diese Art und Weise können Studierende das nötige Bewusstsein dafür entwickeln, dass es innerhalb der VWL verschiedene Herangehensweisen gibt und lernen, diese produktiv und kritisch miteinander zu vergleichen. Um dies zu erreichen, sollte die Diversität innerhalb des Lehrkörpers gestärkt werden.


Für den Erhalt eines vielfältigen Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der HWR bedarf es einer Umgestaltung der Entscheidungsgremien. Studierende sollten ein stärkeres Mitspracherecht bekommen und Meinungen großer Minderheiten stärker berücksichtigt werden. Berufungs- und Forschungskommission sollten paritätisch besetzt und die Transparenz von Entscheidungsprozesse insgesamt erhöht werden. Wir befürworten den eingeleiteten Moderationsprozess. Er muss jedoch zu einem wirklichen Umdenken führen und dafür sorgen, dass dem Beschluss des Kuratoriums der HWR vom 08.11.18, in dem explizit eine “Beibehaltung und Stärkung des erfolgreichen vielfältigen Profils des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften” gefordert wird, echte Maßnahmen folgen.

Die Ausrichtung einer staatlichen Bildungseinrichtung wie der HWR ist eine öffentliche Angelegenheit. Wie die universitäre Lehre aussehen sollte, ist immer auch eine Frage danach, wie die Gesellschaft sich Bildung vorstellt. Der Beutelsbacher Konsens, ein Grundlagendokument der politischen Bildung in Deutschland, lehrt: “Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen”. Dieser Leitspruch gilt mehr denn je auch für die Wirtschaftswissenschaften, in der seit über 10 Jahren die Rufe nach mehr Pluralität lauter werden. Wir hoffen inständig, dass die Verantwortlichen an der HWR diese zukunftsweisenden Entwicklungen noch rechtzeitig erkennen.

Sozialökologisches Bündnis der HWR
Netzwerk Plurale Ökonomik

Erschienen im Tagesspiegel am 15.01.2019

 

Dear President of the BSEL, Andreas Zaby, Dean Otto von Campenhausen, State Secretary Steffen Krach, Dear public,

The Berlin School of Economics and Law (BSEL) is still a unique institution. In particular, the economics department stands out through its interdisciplinary curriculum, plural teaching content, a wide range of economic schools of thought, and its strong practical relevance in diverse research opportunities. For decades, the BSEL has been a place of free academic research for many students and researchers, from which important social changes have emanated.

However, this uniqueness in teaching and research is currently being called into question. There are increasing signs of ‘depluralisation’ of the economics department at the BSEL, which has taken place since the 1970s at many German universities. The balance between different economic approaches, which constituted the progressive nature of the BSEL, is being threatened.

The threat to the existence of several professorships and degree programmes that have ensured academic diversity within the BSEL for years is especially dramatic. The reappointment of professorships in the fields of social policy and distribution, gender, as well as sustainable economics, is being prevented. This has consequences for economic teaching. In total, three international and pluralist degree programmes are at stake. The interdisciplinary Harriet Taylor Mill Institute for economics and gender studies would also be weakened.

In recent years, there have been many times when questionable methods have been used in the direction-setting committees, which has led to a substantive reorientation of the department of economics of the BSEL. The decision-making culture has changed from a more consensual and compromise-oriented process to a majority decision, which is increasingly ignoring large minorities within the faculty. This bias in decision making has unfortunately led to the narrowing of content within which numerous personnel decisions and the selection of teaching content have been made.

All this is very regrettable. In the face of increasingly complex linkages in the world it is essential to confront this with a wide range of methods, ideas and theories. In most parts of the economy and politics, this is recognized. To accompany the necessary adjustment of our economic system to global challenges such as climate change, especially students of economics need competences in questions of sustainability, social inequality and international relations. The same goes for the ability to take different perspectives into account, to work interdisciplinarily and to interpret adequately variations in results.

In this spirit, we demand that societal problems, even in undergraduate studies get more attention in the curriculum at BSEL and that they are worked on with the appropriate theoretical schools from the entire spectrum of economics. In particular, interdisciplinary modules offered such as international economics or political economy play a special role and should not be marginalised by making these modules no longer compulsory. Quantitative methods, qualitative and institutional analysis, the ability to reflect and argue, all belong to a good economics education and must not be played off against each other.

In addition, it is essential that professors who teach in controversial fields master different methodological approaches. Only in this way students can develop the necessary awareness that there are different approaches in economics and learn to compare them productively and critically. To achieve this, diversity within the faculty should be maintained and strengthened.

The preservation of decision-making bodies at the BSEL requires a restructuring of the department of economics. Students should get a stronger say, and opinions of large minorities in the faculty should be taken into account. Appointment and research commissions should be filled on equal terms and the transparency of decision-making processes should be increased overall. We support the initiated moderation process. However, it must lead to a real rethink and take into account the decision of the board of trustees of the BSEL on 08.11.18, which explicitly demands a „maintenance and strengthening of the successful diverse profile of the department of economics“.

The orientation of a state-funded educational institution such as the BSEL is a public matter. What university teaching should look like is always a question of how society imagines education. The Beutelsbacher consensus, a fundamental part of political education in Germany, says: „What is controversial in science and politics, must also appear controversial in the classroom.“ This motto is more valid than ever before for economics, in which for more than 10 years the calls for more pluralism in the discipline have become louder. We sincerely hope that those responsible at the BSEL recognise these forward-looking developments in good time.

Social-Ecological-Alliance of the BSEL
Netzwerk Plurale Ökonomik

Published in the Tagesspiegel on 19.01.18

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