Die Bedeutung von Umwelt an der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik – Ein Gastbeitrag von Hannes Vetter

Weniger als 4% aller Sessions waren an der diesjährigen Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik zu Environmental Economics. Das heißt von den über 150 Parallelveranstaltungen auf der dreitägigen Konferenz waren lediglich sechs zu Environmental Economics. Den Begriff Klimawandel (“climate change”) suchte man vergebens im Programm. Klimapolitik (“climate policy”) kam einmal vor. Auch bei den großen Blöcken sah es nicht viel besser aus: Es gab eine Panel-Diskussion der ARGE-Institute mit dem Thema „CO2-Preise und Kohleausstieg“.

Die Jahrestagung der größten Vereinigung deutscher Ökonom*innen macht wirklich nicht den Eindruck, dass es in der VWL ein großes Umdenken gäbe. Politik muss man zugutehalten, dass sie zumindest vorgibt, sie hätte jetzt verstanden. In der VWL dagegen ist nicht viel Bewegung zu erkennen. Das ist außerordentlich schade!

In der Politik ist Klimaschutz derzeit ein Topthema. Das wird auch daran deutlich, dass Finanzminister Olaf Scholz, der am Montag einen Impulsvortrag hielt, fast nur über das Klimapaket sprach. Beruhigender Weise war in der anschließenden Fragerunde dann immerhin festzustellen, dass zumindest einigen Ökonom*innen das Thema unter den Nägeln brannte. Doch selbst wenn über Klimawandel bzw. Klimaschutz nachgedacht wird, wird eine verengte Perspektive deutlich. Das zeigte auch gleich die erste Frage an Scholz, warum man dem Markt denn so wenig vertraue. Im Klimapaket sei ein breites Bündel an Maßnahmen beschlossen worden, wohingegen der Marktlösung über eine CO2-Bepreisung zu wenig vertraut worden sei.

In der Sache ist es sehr zu begrüßen, dass die Haltung vieler Ökonom*innen grundsätzlich in die Richtung geht, dass ein zu niedriger Preis für CO2 im Klimapaket bemängelt wird. Dennoch wurde in dieser Diskussion einmal mehr die herausragende Bedeutung des Marktes deutlich: Der Markt liefere die besten Ergebnisse und ist anderen Lösungen vorzuziehen. Subventionen oder andere Instrumente sind dagegen verpönt, weil sie “Verzerrungen” hervorrufen, die zu Ineffizienzen führen – so die (ein)gängige Argumentation.

Dieser Ansatz ist auch gar nicht als “falsch” zurückzuweisen, doch hinter all diesen Begriffen stehen entscheidende Grundannahmen, die unausgesprochen bleiben. Allein über den Hintergrund des Begriffes „verzerren“ könnte man einen Artikel schreiben. Dahinter steht ein Konzept von Wohlfahrt aus der Wohlfahrtsökonomik, dem normativen Grundgerüst der Umweltökonomik. Von Wertfreiheit kann hier insofern nicht gesprochen werden. Ökonomik ist auch nicht wertfrei – das ist gar nicht das Problem. Doch um eine transparente und reflektierte Politikberatung zu ermöglichen, ist die ständige Transparenzmachung der Werte dagegen sehr wohl entscheidend.

Zurück zur Tagung. In den wenigen Sessions zu Umwelt ging es viel um “technische” Aspekte: Wie man gute Energieeffizienzpolitik, wie stark sich Immobilienpreise durch den Bau von Windenergieanlagen reduzieren oder warum der Ausbau von Erneuerbaren Energien langsam voran geht. Beim Blick auf derartige Fragen zum Thema Ökologie fällt auf, dass es nicht gerade um große Utopien geht. Es geht sogar eher kleinschrittig zu und ein großer Wurf fehlt. Zurecht? Nicht zwingend. In Anbetracht der Umwelt-, Klima- und Biodiversitätskrise wäre eine explizit normative Herangehensweise im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation denkbar. “Ein großer Wurf”, der dann natürlich diskutiert werden muss. Doch anstatt prä-analytischer Visionen offenzulegen, wurde bei dieser Tagung wieder klar, dass BIP-Wachstum immer noch unzähligen Modellen als Grundannahme zugrunde liegt. Ernüchternd, da gerade solche unreflektierten Annahmen die notwendige Debatte um Grundlegenderes konterkarieren.

Die Wirtschaftsweise, die auf die Verbrennung von fossilen Energien aufbaut, hat uns in eine Situation gebracht, in der uns Klimawandel schon heute immense reale Probleme bereitet (Ressourcen- und Verschmutzungsprobleme mal außen vor). In Anbetracht der Tatsache, dass wir die Klimaziele 2020 nicht erreichen werden und Prognosen für die weiteren Jahre auch ernüchternd sind, bedarf es auch in der Ökonomik grundsätzlicheren Überlegungen: Sind unsere Produktionsstrukturen ganz prinzipiell dekarbonisierbar und in geschlossene Rohstoffkreisläufe zu überführen? Ist BIP-Wachstum bzw. zunehmender Konsum weiterhin wünschenswert für ein Land wie Deutschland oder muss man sich fragen, wie eine Wirtschaft mit Null- oder Negativ-Wachstum funktionieren kann? Sind grundsätzlich andere Wirtschaftssysteme, etwa kollaborativere, zu erforschen und wenn ja, in welche Richtung soll es gehen? Dabei wären Fragen nach dem Lebensstil (etwa Suffizienz und Subsistenz) genauso wie Fragen nach kooperativen Wirtschaften (Sharing/Teilen, Prosumieren und Commons etc.) zu adressieren. Auf der VfS-Tagung fehlte davon jedoch jede Spur.

Technologie-getriebene Prinzipien wie Effizienz und Substitution, wie sie auf der Tagung hauptsächlich zu finden waren, sind keineswegs völlig verkehrt. Aber im Hinblick auf Rebound-Effekte, endliche Ressourcen und bis heute nicht ansatzweise geschlossene Rohstoffkreisläufe sind sie höchstwahrscheinlich einfach nicht ausreichend, um unsere Klima- bzw. Umweltprobleme zu lösen. Deshalb braucht es einen pluraleren Blick und eine kritische Reflexion, die es prinzipiell erlaubt, dass die Bedeutung von Effizienz und Substitution abgeschwächt werden kann. Unter Einbeziehung von wirklich allen externen Kosten – um ganz klassisch ökonomisch zu argumentieren – könnte es sein, dass Globalisierung, zunehmende Arbeitsteilung oder auch Wettbewerb ganz prinzipiell in ein anderes Licht gerückt werden müssen. Woran messen wir Wohlstand? Wohl hoffentlich nicht am BIP und alternative Indikatoren deuten an, dass es schon längst in die andere Richtung gehen könnte. An Raum für eine kritische Beleuchtung derartiger Paradigmen fehlte es jedenfalls an der Tagung.

Das Panel „Autoritärer Staatskapitalismus oder Demokratie und Marktwirtschaft“ zeigt, dass Systemfragen an einer VfS-Tagung zumindest möglich sind. Doch schon der Untertitel „wohin führt der neue Systemwettbewerb“ lässt vermuten, dass der Horizont nur teilweise erweitert wird und sich viel mehr das Narrativ des notwendigen Wettbewerbs weiter durchzieht. Es geht immer noch um Konkurrenzdenken, mit dem Blick auf ganze Staaten eben auf einer höheren Ebene. Eine kritische Nachfrage in Bezug auf Klima brachte die Antwort eines Diskutanten des Panels hervor, dass man bei der Lösung von Umweltproblemen doch auf einem guten Weg sei. Ein erschreckendes Bild, was zum Teil zum Klimawandel gedacht wird! Vermutlich ohne sich explizit damit zu beschäftigen, scheint es die impliziten Annahmen zu geben, dass die Klimakrise über technologische Entwicklungen zu lösen sei.

Immerhin bleiben ein paar Eindrücke, die etwas Hoffnung machen. So ist Umwelt ungeplanter Weise Thema in Diskussionen (mit Olaf Scholz und auch teilweise in der Panel-Diskussion mit Friedrich Merz). Der VfS-Vorstand hat außerdem während der Tagung entschieden, sich 2021 dem Thema Climate Economics zu widmen. Dennoch bleibt insgesamt ein erschreckender Eindruck zurück. Dass sich die VWL ausreichend mit Umwelt und Klima beschäftigt, kann ich nicht sehen. Ich bleibe auch skeptisch, ob sich Umwelt bis 2021 zu einem wirklich wichtigen Querschnittsthema entwickeln wird, das sich dann entsprechend durch die ganze Tagung zieht. Für die anstehende Tagung zu Climate Economics scheint es dann doch realistischer, dass es ein paar übergeordnete Formate zu Umwelt und Klima geben wird, sich die Quote von 4% in den Sessions jedoch nicht wesentlich verbessern wird. Aber das gehört ins Reich der Spekulationen. Was für diese Tagung festzuhalten ist, dass wenn das Programm ein Abbild der deutschen VWL-Forschung ist, wird Umwelt und Klima noch nicht ansatzweise der Raum eingeräumt, der angemessen wäre.

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