In Berlin tritt heute die 15-köpfige Kommission zur Reform der Schuldenbremse zusammen. Als Netzwerk Plurale Ökonomik e.V. richten wir an Politik und Öffentlichkeit folgenden Appell:
1. Die Reformdiskussion muss der Wissenschaft zuhören — aber vollständig
Die Debatte um die Schuldenbremse ist nötig und begrüßenswert. Zu lange wurden jedoch kritische und heterodoxe Perspektiven aus der Wirtschaftswissenschaft nicht ausreichend gehört. Fälschlicherweise wird oft behauptet, Ökonominnen und Ökonomen wären für harte Sparregeln. Doch tatsächlich gab es schon bei der Einführung der Schuldenbremse breite Kritik auch aus der Wirtschaftswissenschaft. Die Schuldenbremse fußt auf bestimmten wirtschaftstheoretischen Annahmen — etwa der pauschalen These, dass Staatsschulden automatisch zulasten künftiger Generationen gingen. Diese Annahmen sind in der Fachwelt umstritten; sie wurden vielfach relativiert oder widerlegt. Eine seriöse Reform kann diese Kontroversen nicht ignorieren.
2. Die Reformdiskussion muss transparenter und pluraler werden
Die aktuelle Zusammensetzung und Agenda der Kommission lässt wichtige Perspektiven außen vor und ist intransparent. Wir fordern:
- die aktive Einbeziehung junger Forscher*innen, unterschiedlicher methodischer Schulen (u.a. empirisch-ökonomisch, heterodox, historische Politische Ökonomie) sowie interdisziplinäre Expertise (Klimawissenschaft, Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft),
- transparente Kriterien zur Auswahl von Gutachten und Modellannahmen,
- die Verpflichtung, Folgenabschätzungen nicht nur für Staatsfinanzen, sondern für soziale Ungleichheit, Beschäftigung, Wohlstandsentwicklung und Klimaziele vorzulegen.
3. Wir brauchen neue Maßstäbe für seriöse Wirtschaftswissenschaft
Als Ökonom:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen sehen wir uns mit existenziellen Herausforderungen konfrontiert: der Klimakrise, wachsender Ungleichheit und dem Zerfall öffentlicher Infrastruktur. Diese erfordern ein sofortiges und kluges Handeln. Wir fordern deshalb, dass die Wirtschaftswissenschaft die Erkenntnisse der Klimaforschung und anderer relevanter Disziplinen systematisch in ihre Modelle und Analysen integriert. Es bedarf einer kritischen Debatte darüber, inwieweit theoretische Grundannahmen, die den Klimawandel und andere Zukunftsgefahren ausblenden, noch als wissenschaftlich seriös gelten können. Unser Ziel sind keine politischen Vorgaben, sondern eine demokratische Debatte über die Transparenz und Überprüfbarkeit strittiger Prämissen in unserer Disziplin.
4. Ohne inklusivere Wirtschaftspolitik droht gesellschaftliche Polarisierung
Wenn in wirtschaftspolitischen Debatten weiterhin nur einseitige fachliche Perspektiven und kurzfristige Sparlogiken dominieren, wächst die soziale Verunsicherung — und damit die Attraktivität nationalistischer oder autoritärer Antworten. Eine pluralere Wirtschaftswissenschaft und eine gerechtere, zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik sind daher auch ein Beitrag zur Verteidigung demokratischer Verhältnisse.
Wir fordern die Kommissionsmitglieder und die politische Führung auf, wissenschaftliche Pluralität, vollständige Transparenz und umfassende Folgenabschätzungen zum Maßstab der Reform zu machen. Nur so lässt sich eine Schuldenregel gestalten, die investitionsfähig, krisenfest und generationengerecht ist.
Das Netzwerk Plurale Ökonomik e.V. ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Studierenden, Wissenschaftler:innen und Engagierten, der sich für eine Vielfalt theoretischer Perspektiven und Methoden in den Wirtschaftswissenschaften einsetzt. Ziel ist eine offene, reflexive und demokratische Wirtschaftswissenschaft, die sich den drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen stellt.