Das Netzwerk Plurale Ökonomik begrüßt das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg, nachdem die Marxistische Abendschule Hamburg unzulässig vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Gleichzeitig warnt das Netzwerk Plurale Ökonomik, denn die Begründung des Urteils öffnet Denkverboten die Tür und bedroht die Freiheit wissenschaftlicher Debatten.

„Dass die Marxistische Abendschule Hamburg nicht länger als extremistisch eingestuft wird, ist ein wichtiger Schritt“, so eine Sprecherin des Netzwerks. „Dennoch stellt die Urteilsbegründung marxistische Theorie grundsätzlich unter den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit. Das ist ein gefährlicher Präzedenzfall.“

Die Marxistische Abendschule Hamburg hatte durch ihre Einstufung als „linksextrem“ ihre Gemeinnützigkeit verloren. Zwar wurde sie nun juristisch rehabilitiert, doch die richterliche Begründung erklärt Marx-Texte pauschal als unvereinbar mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Das Netzwerk Plurale Ökonomik schließt sich der Kritik an, dass mit dem Urteil „ein Pyrrhussieg errungen ist, der die Freiheit pluraler Wissenschaft gefährdet.“ Denn die Gefahr besteht nun, dass sich andere Gerichte auf eben dieses Urteil berufen und so Denkverbote vorantreiben könnten.

Pluralität heißt, auch Marx lesen zu dürfen. Wer diese Vielfalt beschneidet, gefährdet die Demokratie. Das ist besonders besorgniserregend für das Netzwerk Plurale Ökonomik, das sich seit Jahren dafür engagiert, die ökonomische Lehre vielfältiger zu gestalten. Das war nach Jahrzehnten neoliberaler Vormachtstellung kaum noch der Fall gewesen.

Dafür ist es unabdingbar, auch die Analysen von Karl Marx zu lesen, um Ökonomie in ihrer Komplexität zu verstehen. Ohne die Analyse von Macht, Klasse und Krisenrisiken werden ökonomische Debatten verengt. Damit beraubt man sich wichtiger Analysemethoden, um die Gegenwart zu verstehen.

Das Urteil bezieht sich gar nicht auf das umfangreiche Gesamtwerk von Marx, sondern auf eine einzige Sekundärquelle und lediglich einen Primärquellenverweis auf das kurze Kommunistische Manifest, die aber erkennbar einem Lexikoneintrag entnommen ist und wohl nicht selbst gelesen wurde. Nicht zuletzt hierdurch zeigt das Urteil, wie wichtig eine Etablierung der ökonomischen Analyse von Marx in breitere Schichten der Gesellschaft wäre.

Das Rezipieren von ökonomischen Analysen muss unter den Schutz des Grundgesetzes fallen. Alles andere ebnet weiteren Einschränkungen der Denk- und Meinungsfreiheit den Weg. Gerade vor dem Hintergrund des Erstarkens autoritärer Tendenzen muss sich gegen jede Freiheitsbeschränkung zur Wehr gesetzt werden. Erst in jüngster Vergangenheit wurde einer angehenden Lehrerin ihre Zulassung von staatlicher Seite verweigert, weil sie sich als Marxistin versteht und aktivistisch engagiert ist. Die Einstufung marxistischer Kapitalismuskritik als verfassungsfeindlich zeigt eindrücklich, in was für einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel wir uns befinden. Das Urteil ist Ausdruck eines erstarkenden Autoritarismus und lässt eine tiefe Unsicherheit im konservativ-bürgerlichen Spektrum durchscheinen.

Das Grundgesetz schreibt keine Wirtschaftsform vor. Was aber tatsächlich in Artikel 20 Absatz 1 GG verankert ist, ist das Sozialstaatsprinzip. Es verpflichtet den Staat zu sozialer Sicherung – etwa in Form eines würdevollen Lebens im Alter, einer vollumfänglichen solidarischen Krankenversicherung und der aktiven Bekämpfung sozialer Unterschiede. Wer wirklich die Verfassung schützen will, sollte genau hier ansetzen.

Statt kritische Theorien zu delegitimieren, braucht es mehr Offenheit in Forschung, Lehre und öffentlicher Debatte. Gerade in Krisenzeiten ist ein breites Spektrum ökonomischer Theorien notwendig. Denn die neoklassischen Denkschulen finden zunehmend keine Antworten (mehr) auf den Klimawandel und die sich verschärfende Ungleichheit.

Eine wehrhafte Demokratie braucht kritische Köpfe. Das Urteil droht, nichts Geringeres als die Wissenschaftsfreiheit auszuhöhlen. Das Netzwerk Plurale Ökonomik ruft Politik, Universitäten und Öffentlichkeit dazu auf, jetzt Verantwortung zu übernehmen, um ökonomische Vielfalt und wissenschaftliche Freiheit zu verteidigen.

Das Netzwerk Plurale Ökonomik e.V. ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Studierenden, Wissenschaftler:innen und Engagierten, der sich für eine Vielfalt theoretischer Perspektiven und Methoden in den Wirtschaftswissenschaften einsetzt. Ziel ist eine offene, reflexive und demokratische Wirtschaftswissenschaft, die sich den drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen stellt.